50 Jahre Wasserverband und Ansichten von Ganz Oben

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Ein Beitrag zum Nachdenken und Innehalten

 

Aus Anlass des 50jährigen Bestehens verfasste Geschäftsführer Reinhold Gels die Chronik ’50 Jahre Wasserverband Lingener Land’. Fast zeitgleich erschien die zweite Enzyklika von Papst Franziskus ‘Laudatio si’, Über die Sorge für das gemeinsame Haus. Diese befasst sich schwerpunktmäßig mit dem Themenbereich Umwelt- und Klimaschutz und setzt zudem Zeichen im Hinblick auf bestehende soziale Ungerechtigkeiten und auf die Erschöpfung der natürlichen Ressourcen.

„…(die Enzyklika Laudato si) verbindet Zorn und Idealismus, Hirn und Herz, sie ist aufrührerisch und anrührend. Man muss dem grünen Mann in Weiß nicht zustimmen, aber man kommt nicht an ihm vorbei. Der Bischof von Rom hat weniger ein Lehrschreiben verfasst als vielmehr eine Denkschrift.” …so Dr. Christiane Florin, Redaktionsleiterin der Beilage ‘Christ & Welt’ in der Wochenzeitung DIE ZEIT.

Es gibt überraschend viele Übereinstimmungen zwischen den Lehrsätzen (§§) in der Enzyklika und den Aussagen in der Chronik, aber deutliche Unterschiede in der Überzeugungskraft:

Enzyklika, §30/S.43 „(…) der Zugang zu sicherem Trinkwasser (ist) ein grundlegendes, fundamentales und allgemeines Menschenrecht, weil es für das Überleben der Menschen ausschlaggebend und daher die Bedingung für die Ausübung der anderen Menschenrechte ist.“

Ähnlich klingen die Gruß- und Vorworte in der Chronik des Wasserverbandes Lingener Land (WVLL), S. 8,11:

Landrat Reinhard Winter: „Wasser ist der Ursprung von allem.”

Verbandsvorsteher Karl-Heinz Vehring und Geschäftsführer Reinhold Gels: „…Trinkwasser (ist) unser wichtigstes Lebensmittel… die Europäische Wasserrahmenrichtlinie zur Wasserpolitik (stellt) fest, dass Wasser keine übliche Handelsware ist, sondern ein ererbtes Gut, das geschützt, verteidigt und entsprechend behandelt werden muss. Wasser ist das einzige Lebensmittel, das durch kein anderes ersetzt werden kann.”

Ausreichendes Trinkwasser ist entscheidend fürs Überleben, heute und zukünftig. Jetzige Generationen dürfen diese Ressource also nicht übermäßig gebrauchen, denn dann sind sie für spätere Generationen verbraucht.

Der WVLL entnimmt umgerechnet auf die zu versorgenden Menschen 2,3-mal mehr Grundwasser als im Bundesdurchschnitt, Grund ist der übermäßige Verkauf an die Industrie. Steht der Verbrauch von Trinkwasser für die Industrie nicht dem oben genannten Menschenrecht entgegen?

Enzyklika, §36/S.46 „Die Pflege der Ökosysteme setzt einen Blick voraus, der über das Unmittelbare hinausgeht, denn wenn man nur nach einem schnellen und einfachen wirtschaftlichen Ertrag sucht, ist niemand wirklich an ihrem Schutz interessiert. Doch der Preis für die Schäden, die durch egoistische Fahrlässigkeit verursacht werden, ist sehr viel höher als der wirtschaftliche Vorteil, den man erzielen kann.“

hierzu aus der Chronik, S.116, Prof. Möhle aus Hannover, langjähriger Planer und Gutachter für den Wasserverband, anlässlich des 25 jährigen Verbandsbestehens 1990: „Wertevorstellungen haben sich vielfach geändert. Aus Sümpfen sind wertvolle Feuchtgebiete geworden, die bei Grundwassergewinnungsmaßnahmen berücksichtigt werden müssen.”

Dazu Umweltminister Remmers im März 1989 in Lingen, Chronik S.111: „Umweltpolitik darf nicht zum Sanitätszug der Wirtschaft mißbraucht werden! … Bisher wurde sie immer dann erst gerufen, wenn alles zu spät ist. … Falls die Bäume (im Zusammenhang mit der Förderung in Grumsmühlen) tatsächlich absterben würden, müsste die Wasserentnahme durch den Wasserbeschaffungsverband sofort eingestellt werden.”

Im Zusammenhang mit dem Erhöhungsverfahren für Grumsmühlen in den neunziger Jahren sahen die Gutachter – überwiegend dieselben Personen, die jetzt das Vorbehaltsgebiet Lengerich-Handrup erkunden – keine Probleme. „Es gibt eine ausreichende Wasserspeicherung”, „trotz Erhöhung von 3,5 auf 5,5 Millionen wird sich das Einzugsgebiet mit 31 auf 33,4 Quadratkilometer nur geringfügig vergrößern” (Chronik, S.133).

Der gutachterliche Vorgänger, Prof Möhle, konnte 1988 „…keine verlässlichen Aussagen über Entnahme bedingte Grundwasserabsenkungen und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Landwirtschaft treffen“ (Chronik, S.128). Auch der Umweltausschuss der Stadt Lingen, die Ortsräte Baccum und Laxten „…lehnten das Ansinnen ab, weil nach wie vor bestehende Bedenken nicht ausgeräumt worden sind” (Chronik, S.132). Langen verzichtete auf eine Abstimmung und für Lengerich wird sein damaliger Samtgemeindedirektor Werner Klute in der LT zitiert: „…nach seiner Einschätzung ist die geplante Erhöhung der Grundwasserentnahme eine akzeptable Sache und werde nicht zu Schäden im hiesigen Bereich führen.” (Chronik, S.132)   

Die Realität sieht anders aus!

Chronik, S.15 „An diesem Weg (zwischen Andervenne und Lingen) befand sich in der Nähe des Windmühlenbergs der sogenannte Holländer Pütt. Er diente als Rastplatz für die Hollandgänger, denn aus ihm konnte trotz der Höhenlage immer Wasser geschöpft werden.”

Heute ist der Holländer Pütt (meistens) trocken! Kein Politiker hat die Förderung gestoppt, statt dessen kaufte der Wasserverband 65 ha im Gewinnungsgebiet Grumsmühlen und später noch einmal 49 ha in unmittelbarer Nähe der Förderbrunnen I bis IV zwecks grundwasserschonender Bewirtschaftung und „…weil Landwirte dieser Flächen häufig über förderbedingte Trockenschäden klagten. Durch einen Kauf oder Tausch verstummten diese Klagen.” (Chronik, S.136).

Es gibt deutliche Zeichen der Schädigung des Grundwasser-Reservoirs auch in Andervenne / Lengerich / Handrup. Dennoch wollen die Verantwortlichen ein Weiter-So.  Viele alte Ökosysteme sind schon verschwunden, die noch vorhandenen müssen also unbedingt erhalten werden! Sollen auch in Lengerich, wenn später Wasser gefördert wird und die zu erwartenden Schäden dann doch eintreten, betroffene Ländereien aufgekauft bzw. in ‘Offenlandbiotope’ umgewandelt werden, wie dies schon für Grumsmühlen erfolgte (Chronik, S.137)?

Enzyklika, §159/S.138 „Der Begriff des Gemeinwohls bezieht auch die zukünftigen Generationen mit ein. (…) Ohne eine Solidarität zwischen den Generationen kann von nachhaltiger Entwicklung keine Rede mehr sein. (…) Die Umwelt ist in der Logik des Empfangens angesiedelt. Sie ist eine Leihgabe, die jede Generation empfängt und an die nächste Generation weitergeben muss.“

hierzu aus der Chronik, S.57 „Sein Handeln (des Wasserverbandes) wird nicht durch Gewinnmaximierung bestimmt, sondern durch die nachhaltige Sicherung der Versorgung, auch im Interesse künftiger Generationen.”

Enzyklika, §182/S.154 „Einen privilegierten Platz in der Diskussion müssen jedoch die Einwohner vor Ort haben, die sich fragen, was sie für sich und für ihre Kinder wollen, und die auch Ziele in Betracht ziehen können, die das unmittelbare wirtschaftliche Interesse übersteigen.“

Also haben wir Ansässigen das (moralische) Recht, die Interessens-Führerschaft zu übernehmen! Ressourcen gebrauchen ja, verbrauchen nein!

Müssen wir wissen…

…ob der Wasserverband Lingener Land mit seinen Beschwichtigungen Recht behält?

…ob die Gutachter mit der Verharmlosung von Schädigungen Recht behalten?

…ob unsere negativen Erwartungen für Umwelt und Natur später eintreten?

Rechtfertigt die Behauptung des WVLL “es ist genug Wasser da”, den in Jahrhunderten und Jahrzehnten gewachsenen Bodenschatz und Untergrund durch Pumpversuche und spätere Förderung zu destabilisieren?

Reicht es nicht, einfach nur dankbar zu sein, dass im Untergrund Wasserreserven vorhanden sind, die uns bis dato eine grüne Oase geschenkt haben?

Lasst uns nicht abwarten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist kein neues Wasserfördergebiet in Lengerich-Handrup!